Expertenbeitrag für die Rubrik Blickwechsel der Rheumahelden Webseite

Interview mit Prof. Schmidt: Die Behandlung der RZA

Professor Dr. med. Wolfgang Schmidt ist als Leitender Oberarzt in der Abteilung Rheumatologie und Klinische Immunologie im Immanuel Krankenhaus in Berlin-Buch tätig und behandelt dort viele Patienten mit rheumatischen Erkrankungen. Seine Spezialgebiete in der Rheumatologie sind Ultraschall, Vaskulitiden, Polymyalgia rheumatica und Gicht.1

 

1). Herr Prof. Schmidt, Sie sind Leitender Oberarzt in der Abteilung Rheumatologie und Klinische Immunologie im Immanuel Krankenhaus in Berlin-Buch. Welche Schwerpunkte bzw. welche Spezialgebiete in der Rheumatologie beschäftigen Sie besonders im Klinikalltag?

Prof. Schmidt: Wir sind ganz normale Rheumatologen und die häufigste rheumatologische Erkrankung ist die rheumatoide Arthritis. Das ist eine Entzündung, bei der das Immunsystem die Gelenke angreift. Meist sind dies zunächst die kleinen Gelenke, etwa die Fingergrundgelenke, die Mittel- oder Handgelenke. Es können aber auch andere Gelenke betroffen sein. Bei anderen rheumatologischen Erkrankungen wie Morbus Bechterew tritt die Entzündung eher am Rücken auf. Bei der Psoriasis-Arthritis geht die Gelenkentzündung mit einer Schuppenflechte einher. Es gibt aber auch seltenere rheumatologische Erkrankungen, etwa die Kollagenosen. Bekannt sind hier der Lupus oder die Sklerodermie. Und dann gibt es noch die Vaskulitiden. Der Begriff leitet sich von Vas (Gefäß) und -itis (entzündung) ab. Es sind also Gefäße entzündet, meist Arterien. An unserer Klinik in Berlin-Buch haben wir in diesem Bereich ein spezielles Interesse an der Riesenzellarteriitis.

2.) Diese Erkrankung ist relativ unbekannt. Tritt die Riesenzellarteriitis (RZA) denn sehr selten auf? Und was genau muss man sich darunter vorstellen?

Prof. Schmidt: Ja, das stimmt. Auch wenn Ärzte die Riesenzellarteriitis eigentlich ganz gut kennen, ist sie den meisten Menschen nicht geläufig. Dabei ist sie aber gar nicht so selten. So bekommt ungefähr jede hundertste Frau und jeder zweihundertste Mann irgendwann im Leben eine Riesenzellarteriitis. Dabei bilden sich in den Gefäßwänden Entzündungszellen, die sich zu Granulomen zusammenfügen und zu Riesenzellen wachsen können. Die Riesenzellarteriitis ist also eine bestimmte Form der Gefäßentzündung.

3.) Wie kommt es zu dieser Entzündung?

Prof. Schmidt: Die Riesenzellarteriitis ist eine Autoimmunerkrankung, bei der das Immunsystem überaktiv ist. Anstatt Bakterien, Viren und Fremdkörper zu bekämpfen, greift es den eigenen Körper an. Dann kommt es ohne erkennbare Ursache zu Entzündungen. Und eine dieser Entzündungen ist eben die Riesenzellarteriitis. Sie wird auch Arteriitis temporalis genannt. Damit wird die Entzündung der Schläfenarterie, die bei manchen Menschen geschlängelt an der Stirn sichtbar ist, bezeichnet. Allerdings ist bei dem Krankheitsbild nicht nur diese Arterie betroffen, sondern auch andere Gefäße.

4) Wie zeigt sich die Erkrankung?

Prof. Schmidt: Ein typisches Symptom kann man sich ganz gut vorstellen. Wenn die Schläfenarterie entzündet ist, kann das wehtun und die Patienten haben Kopfschmerzen. Sind Gefäße im Bereich der Kiefergelenke betroffen, kann das Kauen Schmerzen bereiten. Und wenn eine Arterie, die den Sehnerv versorgt, entzündet ist, kann es zu Sehstörungen kommen. Wird die Erkrankung erst spät bemerkt und behandelt, droht sogar eine Erblindung. Unter Therapie kommt das aber praktisch nicht vor und die Patienten werden in der Regel nicht blind. Es gibt aber auch noch weitere Symptome: Man fühlt sich sehr krank, nimmt ab, hat starke Muskelschmerzen im Schultergürtel und Beckenbereich. Zudem sind bestimmte Entzündungswerte im Blut deutlich erhöht. Das sind zum einen das C-reaktive Protein, kurz CRP, und zum anderen die Blutsenkungsgeschwindigkeit.

5). Auf welchen Wegen gelangen die Patienten zu Ihnen in die Klinik?

Prof. Schmidt: Wir haben eine Akutsprechstunde für Patienten mit Verdacht auf eine Riesenzellarteriitis. Allerdings muss ein Arzt die Verdachtsdiagnose stellen und uns dann kontaktieren, damit wir die Diagnose entweder stellen oder ausschließen können. Das geschieht mit einer ärztlichen Untersuchung, einer Ultraschall- und einer Blutuntersuchung. Nur in seltenen Fällen müssen wir weitergehende Untersuchungen machen. Das können ein MRT oder ein PET-CT sein oder auch die operative Entfernung einer Schläfenarterie.

6). Wo sehen Sie die größten Herausforderungen insbesondere im Hinblick auf die Diagnostik- und Therapieverfahren bei RZA?

Prof. Schmidt: Die größte Herausforderung in der Diagnostik ist sicherlich, dass die Erkrankung manchmal nicht typisch verläuft und erst spät festgestellt wird. Eine frühzeitige Diagnose ist aber wichtig, um eine Erblindung zu verhindern.
Die Therapie ist zunächst einmal relativ einfach, da standardmäßig Glukokortikoide (auch als Kortison bekannt) gegeben werden. Die Herausforderung liegt darin, die Anfangsdosis von 60 mg möglichst schnell zu reduzieren. Das geschieht wöchentlich oder alle zwei Wochen zunächst um circa 10 mg, später auch um 5 mg oder 2,5 mg. Liegt die Tagesdosis unter 10 mg, kann um ungefähr 1 mg monatlich reduziert werden. Das muss aber auf jeden Fall unter ärztlicher Beobachtung geschehen.

7). Warum sollte die Kortisondosis so schnell wie möglich reduziert werden? Welche Möglichkeiten gibt es hier?

Prof. Schmidt: Bei vielen Patienten kommt es durch das Kortison zu Nebenwirkungen. Dazu gehören Diabetes, Gewichtszunahme, erhöhter Blutdruck und Osteoporose. Auch Probleme mit den Augen kommen vor: der Augendruck steigt, eine Linsentrübung tritt auf. Kortison ist also „nicht ohne“ und wir versuchen die niedrigmöglichste Dosis zu finden. Eine Möglichkeit Kortison einzusparen und die Dosis innerhalb von sechs Monaten zu reduzieren, ist die Behandlung mit einem sogenannten Biologikum, das sich ganz gezielt gegen ein spezielles Entzündungseiweiß im Körper richtet. Wenn man sich für dieses Medikament entscheidet, kann es einmal wöchentlich unter die Haut gespritzt werden.

8). Warum sind eine frühzeitige Diagnose & Therapie wichtig? Was kann ein Patient in diesem Zusammenhang ganz konkret selbst tun?

Prof. Schmidt: Damit lassen sich Spätfolgen wie eine Erblindung verhindern. Wenn Patienten eine neue oder andere Art Kopfschmerzen haben, vielleicht auch verbunden mit Kauschmerzen, sollten sie zum Arzt gehen und diese Symptome beschreiben. Er kann dann im Blut nach Entzündungszeichen suchen. Wenn der Verdacht auf eine Riesenzellarteritiis besteht, sollte eine Überweisung zum Spezialisten folgen.

9). Gibt es etwas, was Sie den Patienten mit auf den Weg geben möchten?

Prof. Schmidt: Wenn die Diagnose gestellt ist, kann die Riesenzellarteriitis mit Kortison meist hervorragend behandelt werden. Im Verlauf der Erkrankung muss man aber darauf achten, diese Dosis in Absprache mit dem Arzt zu reduzieren, um Nebenwirkungen zu vermeiden. Das gelingt durch den Einsatz neuer Medikamente zunehmend besser.

 

Quelle

1 http://berlin.immanuel.de/abteilungen/rheumatologie-und-klinische-immunologie/ueber-uns/team/team-buch/prof-dr-med-wolfgang-schmidt/