Rheumapatientin und Rheuma-Ärztin

Ein langer Weg mit Höhen und Tiefen

Transition: Im Interview spricht Dr. Anna Holz über ihre persönlichen Erfahrungen beim Schritt vom Kinderrheumatologen zum internistischen Rheumatologen. Und darüber, wie es besser laufen kann.

 

Als Ärztin in der Weiterbildung zur Rheumatologin und Patientin mit „juveniler idiopathischer Arthritis“ (JIA) haben Sie heute einen besonderen Blick auf Ihre Erkrankung und das Fach „Rheumatologie“. Aber wie war das als Kind oder Jugendliche?

Dr. Holz: Bei mir wurde im 3. Lebensjahr eine JIA diagnostiziert. Seit ich denken kann, litt ich an der Erkrankung. Damals waren alle kleinen Gelenke entzündet und ich musste Handschienen tragen, um eine Schonhaltung mit nachfolgenden Kontrakturen zu vermeiden. Als Kind waren die Schienen für mich aber eigentlich selbstverständlich. Wenn andere Kinder fragten „Was hast du da?“, habe ich gesagt: „Das sind Handschienen, die brauch ich für meine Hände“ und das Thema war gegessen. Je älter ich wurde, desto besser wusste ich über meine Erkrankung Bescheid: In der Grundschule konnte ich dann schon erklären, dass ich eine Gelenksentzündung habe, bei der der Körper sich selber als fremd erkennt und angreift.

Mit etwa neun Jahren spürte ich die Einschränkungen, die ich im Vergleich zu anderen Kindern hatte, aber immer deutlicher. Damals war man bei dem Thema Rheuma und Sport noch deutlich zurückhaltender und meine Mutter war einfach sehr besorgt, dass ich meinen Gelenken, besonders den Finger- und Handgelenken schaden könnte! So durfte ich an ganz vielen sportlichen Aktivitäten nicht teilnehmen.

Dass ich mich wirklich anders und weniger wert fühlte als andere, kam aber erst, als meine beste Freundin mir am Ende der Grundschulzeit die Freundschaft kündigte. Sie hatte Angst, dass sie an der neuen Schule keiner mögen würde, wenn sie mit einer „Kranken“ befreundet sei. In dieser Zeit habe ich dann auch angefangen, die Handschienen heimlich abzunehmen und verbotene Aktivitäten trotzdem zu machen.

Mein Glück war damals, dass ich mit 13 Jahren in Remission war und schließlich die Medikamente absetzen konnte. An der nächsten weiterführenden Schule – dem Gymnasium – erzählte ich dann gar nicht mehr viel von meiner Erkrankung. Fand liebe neue Freunde und fühlte mich wieder deutlich wohler!

Kindheit von Frau Dr. Holz

 

Wie empfanden Sie damals die Transition, also den Wechsel von Ihrer Kinderrheumatologin zum internistischen Rheumatologen?

Dr. Holz: Um ehrlich zu sein, fand bei mir eigentlich keine richtige Transition statt. Ich ging zwar noch ein- oder zweimal im Jahr zu den Routinekontrolluntersuchungen, die ich aber eigentlich schon unnötig fand, weil es mir gut ging. Als ich 17 war, kam ‚plötzlich‘ die Ansage: „Da du nun 18 wirst, darfst du nicht mehr kommen und musst zum Erwachsenenrheumatologen, mach da schon mal einen Termin!“ Ich fühlte mich damals zurückgestoßen und alleingelassen, da die Behandlung gefühlt so abrupt beendet wurde. Ab dem 18. Lebensjahr war ich dann auch gar nicht mehr in Behandlung und bin auch nicht mehr zu den Kontrolluntersuchungen gegangen. Ich dachte halt, ich sei geheilt.

Als ich dann mit Anfang 20 doch wieder einen Schub hatte, begann ein langer Weg mit vielen Höhen und Tiefen. Ich musste erstmal einen Rheumatologen finden, bei dem ich mich gut aufgehoben fühlte und akzeptieren, dass ich an einer chronischen Krankheit leide und wahrscheinlich lebenslang Medikamente nehmen muss. Mir hat es damals sehr geholfen, mich mit anderen Betroffenen in meinem Alter auszutauschen. Sie konnten meine Sorgen und Beschwerden verstehen. So habe ich es langsam geschafft, die Erkrankung anzunehmen und versucht, einen moderaten Weg mit Sport, so wie die Erkrankung es zulässt, zu finden.

Rückblickend hätte ich mir schon einen fließenderen Übergang gewünscht und mehr Unterstützung dabei, Selbstverantwortung in Krankheitsdingen zu tragen.

 

Hat Ihre Erkrankung Sie in Ihrer Berufswahl und Spezialisierung beeinflusst? Und haben Sie heute ggf. einen besonderen Zugang zu jungen Patientinnen und Patienten?

Dr. Holz: Meine Vorgeschichte hat dazu beigetragen, dass Medizin mich schon immer interessiert hat. Schließlich habe ich es dann auch studiert. Lange Zeit dachte ich aber, dass ich nicht Rheumatologin werden kann, da ich selbst zu sehr involviert bin. Trotzdem habe ich am Anfang des Studiums ein Praktikum in der Kinderrheumaklinik in Garmisch-Partenkirchen gemacht. Das hat mir sehr gut gefallen. Und in Hannover habe ich dann erst meine Doktorarbeit in der Rheumatologie gemacht und dann am Ende des Studiums auch einen Teil meines praktischen Jahres.

Gerade da ich die Tücken und Schwierigkeiten mit der Therapietreue und die Angst vor Cortison oder Immunsuppressiva kenne, fällt es mir manchmal leichter, den Patienten, der ähnliche Schwierigkeiten hat, mit ins Boot zu holen – natürlich ohne, dass er von meiner Erkrankung weiß. Ich bemühe mich, mir gerade am Anfang viel Zeit zu nehmen und für Laien verständlich zu erklären was der Patient hat, warum er welche Medikamente braucht und wie die wirken. Das kostet zwar Zeit, aber ich habe das Gefühl, dass schon ein bisschen mehr Aufwand zu einer deutlich besseren Akzeptanz beim Patienten führt.

 

Ab dem 18. Lebensjahr müssen Patientinnen und Patienten mit einer JIA beim internistischen Rheumatologen behandelt werden. Warum ist das so und was bedeutet das für die Praxis?

Dr. Holz: Rein rechtlich müssen Patienten ab dem 18. Lebensjahr beim internistischen Rheumatologen behandelt werden, sonst erfolgt keine Vergütung mehr. In Einzelfällen kann nach ausführlicher Begründung bei der Krankenkasse eine Verlängerung für einige Jahre beantragt werden. Dies ist jedoch eher die Ausnahme.

In der Praxis bedeutet der Wechsel, dass etwa 1/3 der Patienten nach Vollendung des 18. Lebensjahrs nicht in anschließender Behandlung ist. Das kann zu Folgeschäden mit Funktionsverlust und Behinderung führen. Und bei einem akuten Schub muss man beim Erwachsenenrheumatologen mit Wartezeiten von oft mehreren Monaten rechnen. Deshalb sind ein früh gebahnter Wechsel und regelmäßige Routinekontrollen zu empfehlen.

 

Gibt es spezielle Programme, die die Transition erleichtern?

Dr. Holz: Ja, es gibt teilweise bereits sogenannte Transitionssprechstunden. Das sind gemeinsame Sprechstunden mit Kinder- und Erwachsenenrheumatologen sowie teils noch anwesenden Physiotherapeuten, Psychologen oder RFAs. Das Problem ist, dass diese Sprechstunden bisher meist noch nicht entsprechend vergütet werden und sich mehrere Ärzte viel Zeit nehmen müssen. Und die steht leider oft nicht zur Verfügung.

Darüber hinaus gibt es auch Transitionscamps, in denen die Jugendlichen über ihre Erkrankung geschult werden, Kontakte zu Erwachsenenrheumatologen hergestellt werden, berufliche Perspektiven erarbeitet werden, gemeinsam Sport gemacht wird und man sich mit anderen Betroffenen austauschen kann.

Dann gibt es Internetplattform wie „Mein Rheuma wird Erwachsen“, ein Angebot der Deutschen Rheumaliga, wo diverse Themen und Fragen angesprochen werden – über Medikamente und Sport bis hin zu Verhütung oder Alkohol. Spielerisch kann man auch sein Wissen im Quiz testen. Und es gibt die Möglichkeit, sogenannte Transition Peers zu kontaktieren, junge Erwachsene, die selbst an einer JIA leiden. Sie sind speziell geschult und können Fragen beantworten, die die Jugendlichen vielleicht nicht unbedingt mit ihren Ärzten oder Eltern besprechen wollen.

 

Was ist der Vorteil eines solchen Programms?

Dr. Holz: Jährlich befinden sich etwa 3.000 junge Erwachsene mit JIA in der Übergangsphase und bei 50 Prozent ist die Erkrankung auch im Erwachsenenalter noch behandlungsbedürftig. Gerade die Phase der Pubertät und der Übergang ins Erwachsenenalter stellt eine Risikophase dar: 30 bis 50 Prozent der jungen Rheumatiker brechen hier die medizinische Versorgung ab, was zur Verschlechterung des gesundheitlichen Befindens mit Gefahr von Funktionsverlusten, Einschränkung der Lebensqualität, Berufsunfähigkeit usw. führen kann.

Transitionsprogramme können helfen, die jungen Erwachsenen in dieser eh schon schwierigen Phase aufzufangen und sie beim Umgang mit ihrer Erkrankung und den anderen Themen zu unterstützen.

 

Legen Sie selbst in Ihrer Arbeit ein besonderes Augenmerk auf jugendliche Patienten im Transitionsstadium?

Dr. Holz: Da ich noch in der Weiterbildung für Innere Medizin und Rheumatologie bin, muss ich diverse Stationen der inneren Medizin wie Notaufnahme, Intensivstation oder andere internistische Fachbereiche durchlaufen und nicht nur die Rheumatologie.

Dennoch sehe ich immer mal wieder Patienten mit JIA, die sich das erste Mal nach der Behandlung in der Kinderrheumatologie bei uns vorstellen, oft im Beisein der überbehütenden Eltern. Ich halte eine Vorbereitung oder Schulung der Patienten und Eltern auf die Transition für sehr wichtig. Ich bemühe mich, mir gerade am Anfang viel Zeit zu nehmen und Ängste bei den Patienten abzubauen. Gerade bei jungen Frauen mit Kinderwunsch, bei MTX-Aversion, Angst vor den Nebenwirkungen von Cortison usw.

Vielleicht ergeben sich hier in Zukunft noch mehr Möglichkeiten, das in meiner Arbeit weiter zu integrieren.

 

Was raten Sie Jugendlichen mit JIA bzw. deren Eltern, damit die Transition erfolgreich verläuft?

Dr. Holz: Ich denke, es ist wichtig, die Jugendlichen früh mit ins Boot zu holen und ihnen Verantwortung zu geben. Die Jugendlichen sollten wissen, was für eine Erkrankung sie haben, welche Medikamente wann genommen werden und auch selber Termine bei der Physiotherapie, beim Augenarzt usw. abmachen. Der eine ist hierbei natürlich reifer als der andere und mancher mag länger Unterstützung von den Eltern benötigen als der andere. Auch manche Eltern müssen erst lernen, loszulassen und ihrem Kind mehr zuzutrauen.

Außerdem sollte die Transition rechtzeitig angesprochen werden. Wenn es keine spezielle Transitionssprechstunde gibt, so kann der Kinderrheumatologe zumindest die wichtigsten Verläufe für den Erwachsenenrheumatologen zusammenfassen und wenn möglich auch eine kurze telefonische Übergabe machen. Schließlich ist die JIA ein anderes Krankheitsbild als zum Beispiel eine Rheumatoide Arthritis. Und die Jugendlichen sollten darauf vorbereitet werden, dass der Ablauf beim Erwachsenenrheumatologen in der Regel anders ist.

Bei diesem Lernprozess können auch die sozialen Medien helfen. Hier kann man sich mit gleichaltrigen Betroffenen oder mit speziell geschulten Transition Peers austauschen. Das halte ich für eine besonders gute Möglichkeit, weil man sich als Jugendlicher dann meist doch lieber mit anderen jungen Erwachsenen als mit den Eltern oder Ärzten spricht – vor allem über Tabu-Themen wie Alkohol, Drogen oder Sex.